Der kleine Bruder des Krieges


Ein Gastbeitrag von Matthias Lehna | 12. September 2020

Ein Gastbeitrag vom DlaxV Pressewart Matthias Lehna bezüglich des komplexen und aktuellen Themas der Diskriminierung von Ureinwohnern im deutschen Lacrossesport:

Spätestens seit BLM und der Umbenennung der Washington Redskins sind identitätspolitische Debatten seit Monaten die Tagesordnung. In Deutschland stellt sich die Lacrosse-Community schon länger die Frage: Wird auch hier die indianischen Minderheiten im deutschen Lacrosse stereotypisiert und letztlich diskriminiert?

Der Tänzer ist entrückt. Mit seiner traditionellen Kleidung ist der Mann mit dem Federschmuck, begleitet von rhythmischen Trommelschlägen, in einer eigenen Welt. Er tanzt zur Weihung der Sportstätte. Das transzendente Erlebnis ist für ein Spiel. Einem Spiel, welches für den entrückten Tänzer und seinen Vorfahren mehr als ein internationales Event bedeutet: Baggataway wie es in der Sprache der Irokesen genannt wird – der kleine Bruder des Krieges. Es ist die Eröffnungsfeier der Weltmeisterschaft in Lacrosse 2014 in Denver, USA.

Eine Eröffnung ohne spirituellen Segen will eine ehemalige Lacrosserin anregen. Wenn es nach Hannah Wolff ginge, sollte die deutschen Lacrosseszene eine Debatte zur Umbenennung aller deutschen Lacrossevereinen mit indianischen Bezug starten. Sie fordert, „dass es in Zukunft in Deutschland eine Sportlandschaft gibt, die ohne die Stereotypisierung der amerikanischen Ureinwohner*innen auskommt“. Die Bloggerin, früher Lacrosse und jetzt Quidditch – Spielerin in Berlin, hat ihre Meinung unlängst in einem Online-Magazin veröffentlicht. Dabei übersieht der Beitrag von Wolff eine Sache – die Debatte ist schon seit langem im Gange. Ein von dieser Forderung betroffener Verein ist der Münster Mohawks Lacrosse. „Schon seit zwei, drei Jahren haben wir immer mal wieder die Diskussion, ob wir unseren Namen und unser Logo überhaupt nutzen dürfen. Im Verein gibt es dazu zwei unterschiedliche Lager,“ sagt Christina Ohlmeier, die Vereinsvorsitzende der Münster Mohawks Lacrosse. Die beiden Lager sind unterschiedlicher Ansicht, ob die Nutzung eines stereotypisierenden Logos mit dem Namen der Mohawks legitim und opportun sei, so Ohlmeier. „Wir wollen am Ende vermeiden, dass der Eindruck stehen bleibt mit den Mohawks als Maskottchen herumzulaufen.“

Es ist eine identitätspolitische Frage, die im Deutschland im Kleinen, aber auch in den Staaten, wie in der Football Liga, NFL, bei den Washington Redskins im großen geführt wird. Ungeachtet des Gefälles eine millionenschwere Franchise im Vergleich zum Breitensport in Deutschland lassen sich manche in der deutschen Lacrosse Community von der Frage treiben: Wie weit gehen die Bedürfnisse und Empfindungen von Personen und Minderheiten und wer darf darüber entscheiden?

Gründungseifer in Deutschland

Der deutsche Lacrosseverband, DLaxV, wurde Mitte der 90er des letzten Jahrtausends gegründet.  Zwei Studenten haben von Ostküsten Colleges Lacrosse nach Deutschland gebracht. In Berlin und München entstanden zeitgleich die ersten beiden Vereine. Von diesem exotischen Sport faszinierte Studierende haben in den 00er Jahren die meisten weiteren der aktuell 56 Lacrosseclubs in Deutschland gegründet. Obwohl kein Bezug oder Verbindung zu Mitgliedern der Six Nations bestand, haben sie in ganz Deutschland in etablierten Sportvereinen Lacrosseabteilungen gegründet. Im überschwänglichen Gründungseifer entstanden Teams, wie die Erlangen Tribesman, Cologne Indians, oder die Dresden Braves. Im bürokratisch korrekten Deutschland steht jedoch im offiziellen Vereinsregister der Name des Dachvereins. TB 1880 Erlangen, KKHT Schwarz-Weiß Köln, oder USV TU Dresden sind dort verzeichnet. Einzig die Münster Mohawks haben sich als eigenständiger Verein gegründet. „Es blieb uns keine andere Wahl. In Münster ist die Vereinssituation schwierig. Alle kämpfen um Trainingszeiten auf den wenigen Plätzen der Stadt,“ sagt Ohlmeier. Sie sind alleine mit indianischen Namensbezug im Verbandsregister eingetragen.

Aus der Not haben die Münsteraner eine Tugend gemacht. Sie haben es geschafft als die Mohawks aus Münster im Kopf zu bleiben. Schließlich ist hier die indianische Kultur mit den positiven Attributen von Freiheit, Spiritualität und Naturverbundenheit verknüpft. Nicht alle Münsteraner Lacrosser sind damit zufrieden. „Marginalisiert so ein einfacher Umgang mit Stereotypen nicht die Probleme einer bedrohten Gemeinschaft“, fragen sie sich, „wird hier nicht auf dem Rücken einer Minderheit ein Vorteil gezogen?“ Spätestens durch Proteste um die Dakota Access Pipeline ist bis nach Deutschland gedrungen, dass die Realität der Community der amerikanischen Ureinwohner von Umweltproblemen und gesellschaftlicher Vernachlässigung geprägt ist.

Es sind keine trivialen Fragen. Schließlich hat die westliche Namensgebung der Jahrhunderte alten Spiels schon ohne Rücksprache mit den ursprünglichen Eigentümern stattgefunden. Französische Siedler haben das eigentümliche Spiel im 17. Jahrhundert an der amerikanischen Ostküste beobachtet und zum ersten Mal beschrieben. Für die Irokesen der Six Nations war das Spiel früher eine Möglichkeit Stammeskonflikte beizulegen. Der Stick, das Spielgerät zum Fangen und Passen eines faustgroßen Lederballs ist zugleich Namensgeber des heutigen Mannschaftsportes. Die französischen Siedler haben das ritualisierte und spirituell aufgeladene Spiel der Indianer danach benannt: La crosse.

Der Name bleibt

Die selbständig durchgeführte Namenstaufe hat die Münsteraner Lacrosser bis zuletzt nicht in Ruhe gelassen. „Wir haben im Verein Unruhe gehabt. Das Thema um das Logo und den Namen musste endgültig angegangen werden. Am Ende haben wir sogar mit der Antidiskriminierungsbeauftragten der Stadt Münster darüber gesprochen,“ sagt Ohlmeier. Um Klarheit zu schaffen, haben die Münsteraner schließlich eine naheliegende und doch so häufig vergessene Lösung wahrgenommen. Sie haben das Gespräch mit den Betroffenen gesucht. Zusammen haben sie eine Mail an den Chief Counsel of Mohawks geschrieben, der Stammesvertretung der Mohawk Indianer. Eine Mail, die ohne Antwort blieb. Trotz mehrmaligem Nachfragen. Über die Motive ließe sich nur spekulieren, so Ohlmeier. Die Münsteraner haben trotzdem beschlossen ihr Logo zu ändern – den Namen jedoch zu behalten: „Wir hoffen damit endlich Ruhe in den Verein zu bekommen. Eigentlich haben wir ganz andere Probleme. Wie organisieren wir die Nachwuchsarbeit, wie lässt sich die Teilnahme im Ligabetrieb einrichten und wie bilden wir genug Schiedsrichter aus?“

Es ist eine salomonische Lösung in einer Debatte, die immer intensiver geführt wird. Stimmen aus der deutschen Lacrosse Community, wie der von Wolff, fordern dagegen eine kompromisslose Lösung. Nach ihrer Meinung muss bei diesem Thema mehr getan werden. „Auch in Deutschland können wir etwas gegen die Entmenschlichung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas tun.“ Aus Sicht des stellvertretenden Verbandvorstandes, Jakob Großehagenbrock, vertritt die ehemalige Lacrosserin einen auf den ersten Blick berechtigten Standpunkt. Würden jedoch alle Forderung eingelöst, müssten die Namen der Dachvereine auf dem Feld geführt werden, bestätigte Großehagenbrock auf Nachfrage. Der Turnerbund aus Erlangen gegen den Universitätssportverein aus Dresden wäre so eine Folge. Großehagenbrock wirbt um Verständnis für den ursprünglichen Willen der Gründerinnen und Gründer der vielen Lacrossevereine in Deutschland. Seiner Meinung nach sind die Namen aus einem Ausdruck der Verbundenheit mit dem indigenen Ursprung des Sports entstanden. Eine Verbundenheit, die sich vom Münsterland bis zur Elbe zeigt. Unabhängig davon liegt die Verantwortung in der Namensdebatte bei den Vereinen. „Wir können schon laut Satzung keine Namensänderung diktieren. Das müssen die Vereine schon selbst entscheiden,“ sagt der stellvertretende Vorstand des DLaxV.

Für Ohlmeier ist die ausbleibende Reaktion der vermeintlich Betroffenen eine Chance. Sie bietet eine Möglichkeit für mehr Gelassenheit in einer verkrampften Debatte. Die aktuelle Diskussion, wie man die Irokesen in den internationalen Turnierbetrieb einbinden kann, zeigt ohnehin auf, dass sich die Sache der Indianer nicht in Namensdebatten erschöpft. Die intensive Beschäftigung der Münsteraner Mohawks mit ihrem Namen und Logo hat auch einen Vorteil findet Ohlmeier. „Wahrscheinlich haben sich wenige bei uns in der Region je so intensiv mit der Kultur der Mohawks beschäftigt, wie wir im Verein.“


English Version:

Little Brother of war

At the latest since the BLM and the renaming of the Washington Redskins, identity policy debates have been the order of the day for months. In Germany, the lacrosse community has been asking itself the question for a long time: Is the native minorities in German lacrosse stereotyped and ultimately discriminated against here as well?

The dancer is enraptured. With his traditional clothing, the man with the feather ornament, accompanied by rhythmic drum beats, is in a world of his own. He dances to the consecration of the sports facility. The transcendent experience is for a game. A game that means more than an international event for the raptured dancer and his ancestors: Baggataway as it is called in the language of the Iroquois – the little brother of war. It is the opening ceremony of the 2014 World Lacrosse Championship in Denver, USA.

An opening without spiritual blessing wants to inspire a former lacrosse player. If it were up to Hannah Wolff, the German lacrosse scene should start a debate to rename all German lacrosse clubs with an Indian reference. She demands „that in the future there should be a sports landscape in Germany that can do without the stereotyping of Native American* women. The blogger, formerly a lacrosse player and now a Quidditch player in Berlin, recently published her opinion in an online magazine. Wolff’s article overlooks one thing – the debate has been going on for a long time. One club affected by this demand is Münster Mohawks Lacrosse. „For two or three years now, we’ve been having the occasional discussion about whether we should be allowed to use our name and logo at all. There are two different camps in the club,“ says Christina Ohlmeier, the chairwoman of Münster Mohawks Lacrosse. The two camps have different views on whether the use of a stereotyping logo with the Mohawks name is legitimate and appropriate, says Ohlmeier. „In the end, we want to avoid the impression of running around with the Mohawks as mascots.“

It’s a question of identity politics, which is conducted in Germany on a small scale, but also in the states, such as the Football League, NFL, the Washington Redskins on a large scale. Regardless of the disparity between a million-dollar franchise and popular sport in Germany, some in the German lacrosse community are driven by the question: How far do the needs and feelings of individuals and minorities go, and who is allowed to decide?

 

Founding zeal in Germany

The German Lacrosse Association, DLaxV, was founded in the mid 90s of the last millennium.  Two students have brought colleges from the east coast to Germany. In Berlin and Munich the first two clubs were founded at the same time. Students fascinated by this exotic sport founded most of the other 56 lacrosse clubs in Germany in the 00s. Although there was no reference or connection to members of the Six Nations, they founded lacrosse departments in established sports clubs throughout Germany. In their exuberant founding zeal, teams such as the Erlangen Tribesman, Cologne Indians, or the Dresden Braves were formed. In bureaucratically correct Germany, however, the name of the umbrella club is listed in the official club register. TB 1880 Erlangen, KKHT Schwarz-Weiß Köln, or USV TU Dresden are listed there. Only the Münster Mohawks have founded themselves as an independent association. „We had no other choice. In Münster the club situation is difficult. Everyone is fighting for training times on the few courts in the city,“ says Ohlmeier. They are registered in the association’s register with an Indian name alone.

The people of Münster have made a virtue of necessity. They have managed to stay in mind as the Mohawks from Münster. After all, this is where Indian culture is linked with the positive attributes of freedom, spirituality and closeness to nature. Not all Münster lacrosse players are satisfied with this. „Doesn’t such a simple handling of stereotypes marginalize the problems of a threatened community“, they ask themselves, „isn’t an advantage being taken here on the back of a minority? Protests over the Dakota Access Pipeline have reached as far as Germany, at the latest, and have shown that the reality of the Native American community is marked by environmental problems and social neglect.

The name remains

The independently conducted name baptism did not leave the Münster lacrosse players alone until the very end. „We have had some unrest in the club. The issue of the logo and the name had to be finally tackled. In the end we even talked to the anti-discrimination officer of the city of Münster about it,“ says Ohlmeier. In order to create clarity, the people of Münster finally perceived an obvious and yet so often forgotten solution. They sought dialogue with those affected. Together they wrote an email to the Chief Counsel of Mohawks, the tribal representation of the Mohawk Indians. A mail that remained without answer. Despite repeated requests. About the motives can only be speculated, said Ohlmeier. Nevertheless, the people of Münster decided to change their logo – but to keep the name: „We hope to finally get some peace and quiet into the club. Actually we have completely different problems. How do we organise the young players, how can we organise their participation in the league and how do we train enough referees?

It’s a Solomon-like solution in a debate that’s becoming increasingly intense. Voices from the German lacrosse community, like Wolff’s, on the other hand, are calling for an uncompromising solution. In their opinion, more needs to be done on this issue. „In Germany, too, we can do something against the dehumanization of the indigenous population of North America.“ From the point of view of the association’s deputy chairman, Jakob Großehagenbrock, the former lacrosse athlete’s position is at first glance justified. However, if all demands were to be met, the names of the umbrella associations would have to be kept on the field, confirmed Großehagenbrock when asked. The gymnastics federation from Erlangen against the university sports club from Dresden would be a consequence. Großehagenbrock asks for understanding for the original will of the founders of the many lacrosse clubs in Germany. In his opinion, the names are an expression of the association with the indigenous origin of the sport. A bond that can be seen from the Münsterland to the Elbe. Regardless of this, the responsibility in the name debate lies with the clubs. „According to the statutes, we cannot dictate a change of name. The clubs have to decide for themselves,“ says the deputy board of the DLaxV.

For Ohlmeier, the lack of reaction from those supposedly affected is an opportunity. It offers an opportunity for more composure in a tense debate. The current discussion about how to integrate the Iroquois into the international tournament business shows anyway that the cause of the Indians is not limited to name debates. Ohlmeier also believes that the intensive occupation of the Münster Mohawks with their name and logo has an advantage. „Probably few of us in the region have ever been so intensively involved with the culture of the Mohawks as we are in the association“